Einmal Celje und zurück

Die Prüfer und Prüflinge in Celjie

Einmal Celje und zurück, eigentlich nur 3 Tage bis zur IJF B Lizenz

Es war gerade einmal 9:30 Uhr als ich mich auf dem Weg machte, gut 800 km und etwa 8 Stunden Fahrt liegen vor mir. Eine lange Zeit auf der einem so einiges durch den Kopf geht. Ich bin unterwegs zur Kampfrichterprüfung ins slowenische Celje, einem Ereignis, dem mittlerweile eine Vielzahl von Menschen entgegenfiebern. Eigentlich hätte diese Aufregung und Spannung schon längst hinter mir liegen sollen, denn ursprünglich war die Prüfung für den Juli in Berlin geplant, einem Wettkampfort, an dem man sich auskennt und einem Umfeld, welches mir bestens vertraut wäre. Durch die Verschiebung ist es jetzt also am 29. September so weit. Ich starte den Motor und ein spannendes Wochenende beginnt.

In der Nähe von Prag erfolgt dann die schon obligatorische Abmeldung bei unserem Landeskampfrichterreferenten, eine Tradition, die sich unter den sächsischen A-Kampfrichter bereits so gefestigt hat, dass man sich rechtfertigen muss, wenn man diesen Punkt einer Wettkampffahrt vergisst oder zu weit hinauszögert. Mittlerweile ist dieser Anruf für alle ein Ritual geworden, welches auch den Zusammenhalt unter den A-Kampfrichtern des JVS zeigt.

Nach diesem kurzen Gespräch geht es weiter in Richtung Slowenien und da noch 7 Stunden vor mir liegen ist es an der Zeit noch die eine oder andere Regel oder Bewegung auf der Matte gedanklich durchzuspielen. Eine Vorgehensweise, die ich mir aus der Fahrschule übernommen habe. Viele Abläufe eines Judokampfes sind immer wieder gleich. Für diese Abläufe gibt es klare Vorgehensweisen und Routinen, die immer wieder identisches Handeln erfordern. Also gehe ich gedanklich auf die Judomatte, verbeuge mich, mache etwa 14 Schritte nach vorn und scanne dabei den ersten Kämpfer von oben bis unten. Haare passen, Hosen und Ärmellängen sind ok, Revers sind richtig übereinandergeschlagen, kein T-Shirt, ich biege dann 90 Grad nach links ab und scanne den zweiten Kämpfer bevor ich mich zur Matte drehe und mir jetzt sicher bin: Kleiderkontrolle abgeschlossen. Dieses Ritual geht mittlerweile so weit, dass ich beim heimischen Training dieses Abscannen sogar bei unseren Kindern vollführe. Training mit Haarspangen oder Socken ist damit ausgeschlossen.

Anschließend gehe ich gedanklich die Liste der Shidobestrafungen durch. Ich kam auf 28 Möglichkeiten und ich weiß genau da fehlen ein paar. Ähnlich ging es mir mit der Liste für Hansokumakebestrafungen. Eine kleine Aufgabe für die nächste Pause, denn das aktuelle Regelwerk ist ohnehin immer in der Tasche.

Nachdem Österreich durchquert war, wurde es bereits dunkel und der Regen setzte ein. Noch etwa 1 Stunde bis zum Ziel. Es war Zeit sich mal bei Christian Freese zu melden. Mit ihm habe ich die Vorbereitung auf dieses Wochenende gemeinsam bestritten. Egal ob in Teplice, Graz, Coimbra oder Lodz, wir waren dieses Jahr immer gemeinsam unterwegs und unterstützen uns, wo immer es ging. Obwohl die Kampfrichterei natürlich auch vom Konkurrenzkampf geprägt ist, gab es für uns in diesem Jahr ein gemeinsames Ziel, für das wir zu insgesamt vier Vorbereitungsturnieren reisten. Christian reiste mit dem Flugzeug nach Slowenien und sollte eigentlich schon in Celje angekommen sein. Er wartete schon darauf von mir zu hören und wie erwartet fieberte er schon dem Abendessen entgegen.

Kurz nach 20 Uhr traf ich dann im Hotel ein, damit war die Akkreditierung schon geschlossen und der PCR-Test musste auch am nächsten Tag stattfinden. Eine Aufregung, die ich gern noch gleich nach der Anreise erledigt hätte.

Nach einem gemütlichen Abend, bei dem die Aufregung noch erstaunlich erträglich war, ging es dann also am nächsten Morgen zum PCR-Test und anschließend zur Akkreditierung. Die letzten beiden Hürden vor der eigentlichen Prüfung waren gemeistert. Gegen 14 Uhr fanden wir uns dann alle zur Kampfrichterbesprechung ein. Anschließend gab es dann den ersten Prüfungsteil, das englische Interview. In etwa 15 Minuten wurde die Kommunikationsfähigkeit und die Wettkampfregel in englischer Sprache abgeprüft. Das war der Prüfungsteil, vor dem ich über die gesamte Zeit den meisten Bammel hatte, denn im täglichen Gebrauch ist mein Englisch nun wirklich nicht. Aber die Aufregung vor diesem Prüfungsteil war völlig unbegründet. In einem entspannten Gespräch mit Franky de Moor und Franc Ocko ging es um die Familie, den Weg zum Judo und die Laufbahn als Kampfrichter. Abschließend ging es nur kurz um Bestrafungen, bevor sie mich mit einem Lächeln aus diesem Gespräch entließen.

28 Prüflinge warteten vor der Tür und natürlich musste ich, genau wie meine Vorgänger auch, ganz genau berichten, wie es hinter der Tür ablief. Für mich legte sich nach dem Verlassen des Raumes aber die Anspannung nahezu völlig, denn ab diesem Moment begann wieder der normale Ablauf. Halle anschauen, Abendessen, zeitig schlafen gehen, Frühstücken und anschließend anziehen und auf zur Halle.

Die beiden Prüfungstage verliefen bis auf eine Situation ohne große Zwischenfälle. In einer Situation stand Tori kurzzeitig außerhalb der Matte und setzte sofort eine Wurftechnik an und warf seinen Gegner auf die Seite. Für mich war der Fall klar, innen begonnen anzusetzen, Gegner landet auf der Seite, Waza-ari. Von meinen Außenrichter erfolgt keine Korrektur. Prima denke ich mir und freue mich innerlich über diese klare Wertung kurz vor dem Kampfende. Ich verlasse die Matte und Franky ruft mich zu sich. Auf dem Videosystem ist ein Standbild zu sehen, Tori klar mit beiden Beinen außerhalb. Mist, denk ich mir aber rechtfertigen macht an der Stelle keinen Sinn, das Bild ist klar. Was bleibt einem also anderes übrig als die Situation abzuhaken, gar nicht so einfach, wenn bis dahin alles optimal lief. Die darauffolgende Pause von 5 Kämpfen kam im genau richtigen Moment, denn auch für diesen Fall gab es einen zurechtgelegten Plan. Halle verlassen, frische Luft einatmen und neu starten egal was davor war. Das restliche Turnier verlief dann ohne weitere Zwischenfälle und ich war mir nach dem letzten Kampf sicher, das hat gereicht.

Aber bis zur Verkündung des Urteiles dauerte es noch eine Weile. Bei der kurzen Besprechung in der Halle am Ende des zweiten Wettkampftages wurde lediglich darauf hingewiesen, dass wir uns alle im Hotel treffen und die Auswertung im Raum des Interwies stattfinden wird. Also noch gut 1 Stunde warten bis die Prüfungskommission endlich die erlösenden Worte sprach und wir unsere neue Krawatte und das blaue Abzeichen erhielten. Anschließend war mein Kopf völlig leer. Nach 18 Jahren und knapp 250 Einsätzen hatte ich die Prüfung zum internationalen B-Kampfrichter bestanden. Eine Prüfung, die in den drei Tagen nicht wirklich schwer zu meistern war, die aber in der Vorbereitung so einiges abverlangte.

Nicht nur ich selbst musste einiges an Kraft investieren, auch zuhause musste oft auf mich verzichtet werden. Am Ende war es bis hierher ein Gemeinschaftsprojekt, bei dem eine Vielzahl an Leuten mitgewirkt haben. Zuallererst natürlich die beiden Mädels zuhause, die oft vor dem Fernseher oder direkt in der Halle mit gefiebert haben und so manches Wochenende alleine verbringen mussten. Außerdem zahlreiche Kampfrichterkollegen, mit denen ich mich über die gesamte Zeit natürlich auch immer wieder im Wettkampf befand, mit denen es dennoch immer fair und kollegial zuging. Ich erinnere mich hier vor allem an meine Prüfung zum Bundes-B Kampfrichter, wo ich mit Uwe Drechsel und Mario Gädtke gemeinsam ins Rennen ging und egal wie der Wettkampf am Ende ausging, gab es zwischen uns nie ein böses Wort oder einen unschönen Kommentar, ganz im Gegenteil. Bis heute treffen wir uns noch gern bei Turnieren überall in Mitteldeutschland. Natürlich gab es auch Kampfrichter, die auf den verschiedenen Ebenen immer wieder dafür sorgten, dass meine Leistung gesehen oder wahrgenommen wurde. Einer der Ersten, der in dieser Reihe zu nennen ist, kommt aus Kamenz und wird unter den Kampfrichtern meistens mit dem Sanitäter verwechselt. Sanny war vermutlich einer der ersten, der bereits frühzeitig die eine oder andere positive Rückmeldung gab und damit dafür sorgte, dass vor allem am Anfang immer wieder auf mich geschaut wurde. Ein ganz besonderes Erlebnis waren dann sicher auch die zahlreichen Lehrgänge und an dieser Stelle bin ich wirklich froh zu den sächsischen Kampfrichtern zu gehören. Die Erfahrungen auf dem Rabenberg waren und sind großartig und auch die mitreisenden Familien sind in Deutschland einzigartig. Kein anderer Landesverband macht aus seiner Weiterbildung eine solche Veranstaltung. Der Aufwand ist zwar enorm aber die Vielzahl der Rückmeldungen und das damit erzeugte Einbeziehen der Familien sorgt auf der anderen Seite auch für ein großes Maß an Akzeptanz. Wir sollten gemeinsam unbedingt an diesem Format festhalten und versuchen möglichst viele junge Leute für diesen Art der Weiterbildung zu begeistern. An dieser Stelle muss ich auch ein großes Dankeschön an das Leitungsteam des Judoverband Sachsen loswerden. Das Bewusstsein über die Wichtigkeit der Kampfrichterei ist bereits seit vielen Jahren in der Führung unseres Verbandes verankert und wir Kampfrichter können sehr froh über diesen Zustand sein, da es bei weitem nicht in allen Verbänden einen solchen Rückhalt und eine solche Unterstützung gibt.

Neben dem Lehrgang in Sachsen war ein weiteres großes Highlight sicherlich der erste Lehrgang der Bundes A-Kampfrichter. Die besten Kampfrichter Deutschlands versammelt an einem Ort und die Art der Diskussionen sind zum Teil so skurril wie auch faszinierend. Nicht jeder Interpretation konnte ich immer gedanklich folgen aber in fast jeder Interpretation verbarg sich wieder ein Grund sich mit der ständig wandelnden Wettkampfregel zu beschäftigen. Auch die Besuche der Bundestrainer waren beeindruckend und ihre Interpretation war ein ganz wichtiger Denkanstoß für die Arbeit auf die Matte, denn ihre Sichtweise auf die Wettkampfregel war natürlich aus einer ganz anderen Sichtweise. Auch die Arbeit unserer sächsischen A-Kampfrichter bekam für mich erst dort konkrete Konturen. Die Vorbereitung der Lehrgänge, der ständige Austausch, die zahlreichen Telefonate und E-Mails im Hintergrund, eine Maschinerie, die kaum einer erahnen kann. Ich sage es an dieser Stelle wirklich nicht gern aber unser Landeskampfrichterreferent hat recht. „Kampfrichter auf höchstem nationalem und internationalem Niveau ist wie Kämpfen in der Spitze, Leistungssport!“ Es müssen viele Zahnräder zusammen passen damit die Maschine am Ende gut läuft. Abschließend möchte ich noch auf zwei wichtige Zahnräder für mich eingehen. Eines der beiden habe ich soeben schon erwähnt. Mit Uwe Sladek haben wir einen Kampfrichterreferenten in unseren Reihen, der zwar oft ruhig und manchmal auch distanziert die Geschicke im Hintergrund lenkt, der aber vor allem immer im Sinne aller sächsischen Kampfrichter versucht für alle Ebenen das Beste rauszuholen. Er organisiert Einsatzmöglichkeiten, pflegt die Kontakte zu den anderen Landesverbänden, leitet die Kampfrichterlehrgänge und gehört nahezu nebenbei außerdem selbst zu den Kampfrichtern, die bei Turnieren unter den Bewertungen immer zu den Top drei auf der Matte gehören. Mit so einem Berater und Freund an der Seite war so manche Hürde nicht mehr so hoch. Abschließend möchte ich nicht versäumen einen der gesprächigsten Zimmerpartner dieses Planeten zu erwähnen. Philipp Geisler ist sicherlich der Kollege, mit dem ich die meiste gemeinsame Zeit verbinde. Als Kämpfer für den PSC Bautzen e.V. und später als Kampfrichter haben wir so manche knifflige Situation besprochen und kennen uns in- und auswendig. Ein nicht zu unterschätzender Fakt und ein wichtiges Puzzleteil.

Es ist gut zwei Monate nach der Prüfung als ich dann unsere offizielle Bewertung auf der Homepage der EJU sehe. Mit 5,5 gehöre ich an dem Wochenende nicht zu den Besten. Eine Entscheidung daneben und gleich ist man nur noch im Mittelfeld. Mir ist klar die Luft wird dünner und ein leichtes Lächeln huscht über mein Gesicht. Ich habe jetzt zwar das blaue Schild, aber ich werde mich wieder gut vorbereiten müssen um dann auch in diesem Schwimmbecken möglichst weit vorn mitzuschwimmen.

Für die Zukunft hoffe ich, dass es uns gemeinsam gelingt zahlreiche junge Talente zu finden, die dann auch in einem fairen Wettkampf dafür sorgen, dass diese IJF-B-Lizenz nicht die einzige in Sachsen und Mitteldeutschland bleibt. Aber auch wenn es am Ende nicht bei allen in den Internationalen Bereich reichen kann, bietet die Kampfrichterei ein großes Betätigungsfeld. Ich wünsche mir, dass auch in Zukunft in allen Vereinen und Sportbezirken den Kampfrichtern weiterhin so viel Unterstützung und Wertschätzung entgegengebracht wird, wie ich es auf meinem bisherigen Weg erfahren durfte und wer weiß, was es dann nach den nächsten 250 Einsätzen zu berichten gibt.

M.S.